Diszipliniert und witzig, ortsverhaftet und weltoffen

Kant praktisch

Der große Aufklärungsphilosoph Immanuel Kant, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 300. Mal jährt, gilt als blitzgescheit. Auch wenn er kein Wunderkind war, wie Harald Lesch und Wilhelm Vossenkuhl in ihrem Dialog über die großen Denker (München 2015, S.469ff.) feststellen, so haute er doch irgendwann „raus, was es nur gab“. Da war er bereits 46. Und das „Volles Rohr.“, so Lesch und Vossenkuhl weiter. In wenigen Jahren erscheinen seine drei großen Werke, seine Kritiken.

Doch in der Rubrik actio et usus soll es nicht um Inhalte und Lehren von Kant’s Werken gehen. Nachgegangen wird der Frage, wie Kant zu seiner immensen Geistesleistung kommen konnte.

Eine Vermutung: Es könnte auch mit seinem Lebenswandel zu tun haben. Allgemein bekannt ist, dass er seinem Tagesverlauf eine ganz klare Struktur gab: frühes Aufstehen, bescheidenes Frühstück, Tabakpfeife rauchen, akademische Arbeit, Punkt Zwölf Mittagessen, Gespräche mit Freunden, Spaziergang abends um sieben, noch etwas lesen, zehn Uhr Nachtruhe. Jahrzehntelang hielt er diese Ordnung diszipliniert ein. Spiegelt sich diese nicht auch in seinem systematischen philosophischen Denken wieder? Strukturiertes Leben, klares Denken!

Bei aller Disziplin, Ordnung und Struktur ist Kant aber nicht etwa der Humor abhandengekommen. Dieser könnte sein Denken zusätzlich beflügelt aber auch geerdet haben. Der Zeitgenosse Reinhold Bernhard Jachmann schreibt über Kant, dass er „sehr vielen Witz besaß. Sein Witz war leicht, launig und sinnreich. Es waren Blitze, die am heiteren Himmel spielten, und er würzte durch ihn nicht allein seine gesellschaftlichen Gespräche, sondern auch seine Vorlesungen. Sein Witz gab dem ernsten und tiefdenkenden Geiste ein gefälliges Gewand und zog ihn oft aus den hohen Sphären der Spekulation zur Aufheiterung seiner angestrengtesten Zuhörer in die Regionen des irdischen Lebens herab.“ (Immanuel Kant. Ein Lebensbild, nach Darstellungen der Zeitgenossen Jachmann, Borowski, Wasianski, hrsg. von Alfons Hoffmann, Halle a.S. 1902, S. 18f.)

Fazit: Ordnung mit Witz, mehr als das halbe Leben.

Man fragt sich, wie konnte es Kant nur so weit bringen, obwohl er doch ganz und gar seinem Geburtsort Königsberg verhaftet war und mehr oder weniger von dort nicht weggekommen ist. Findet ein gescheiter Mensch die beste Bildung nicht doch etwa auf Reisen? Das meinte jedenfalls Johann Wolfgang von Goethe.

Dazu muss man sagen, dass Königsberg kein Kuhkaff, sondern eine lebendige Hafenstadt sowie kulturelles und wirtschaftliches Zentrum Ostpreußens war. Kant ging durch diese auch nicht mit Scheuklappen, sondern nahm intensiv am Stadtleben teil. Laut Kant eine Stadt bestens geeignet zur Erweiterung von Menschen- als auch Weltkenntnis.
Zu dieser trugen auch seine vielen interessanten Freunde bei, welche er mit „Scharfsinn“ und „Menschenkenntnis“ auswählte und mit denen er in regem Austausch stand. (Immanuel Kant.
Ein Lebensbild, S. 53) Eine sehr innige und vertraute Beziehung pflegte er zu dem englische Kaufmann Green. Über diese stellt Jachmann fest: „In der Gesellschaft dieses geistreichen, edel-
gesinnten und sonderbaren Mannes fand Kant so viele Nahrung für seinen Geist und für sein Herz, dass er sein täglicher Gesellschafter wurde und viele Jahre hindurch mehrere Stunden des Tages bei ihm zubrachte.“ (Immanuel Kant, ein Lebensbild, S. 57)

Fazit: Weltoffen, ohne Reisen.

— Andreas Steffel

Programm Februar – September 2024

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